ZEITZEICHEN 24. Juni 1917: Abschiedsläuten der Mülheimer Kirchenglocken

Die neuen Gussstahlglocken der Petrikirche (1921)Während des Ersten Weltkrieges (1914-1918) war das Deutsche Reich nahezu vollständig vom Weltmarkt und von Importen aller Art abgeschnitten, so dass viele Rohstoffe, die in Deutschland nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden waren, plötzlich fehlten. Gleichzeitig stieg jedoch der Bedarf für eine Vielzahl solcher Rohstoffe insbesondere für die Waffen- und Munitionsherstellung, aber auch für die Versorgung der deutschen Zivilbevölkerung dramatisch an. Um in dieser Situation die unterschiedlichsten Bedürfnisse befriedigen zu können, entstand bereits ab 1915 ein System der staatlichen Zwangsbewirtschaftung und Ersatzstoffentwicklung. Zwar wurden gerade auf diesem Gebiet einige wichtige technische Erfolge erzielt, wie z.B. die synthetische Ammoniakherstellung durch das so genannte Haber-Bosch-Verfahren, insgesamt reichten die Innovationen jedoch nicht aus, den Ausfall der Importe zu kompensieren.

Um den Bedarf an verschiedenen Metallen zu decken, gingen die verantwortlichen Militärbehörden daher dazu über, Gebrauchsgegenstände aus den benötigten Materialien zu beschlagnahmen. So mussten im Juni 1917 auch in Mülheim so genannte "Buntmetalle" von der Bevölkerung abgegeben werden. Doch nicht nur Wärmflaschen, Handtuchhalter und Kochtöpfe wurden den Kriegsnotwendigkeiten geopfert. Dieses Schicksal traf auch die Mülheimer Kirchenglocken, die bis zum 29. Juni 1917 im Hof des Rathauses abgeliefert werden mussten. Jede Kirchengemeinde durfte nur die jeweils kleinste Glocke behalten. Noch einmal sollten jedoch alle Glocken gemeinsam "mit ihren vollen Klängen die Gemeinde grüßen, bevor die größten unter ihnen ausscheiden müssen, um sich in den Dienst des Krieges bringen zu lassen" - so hatte es Pastor vom Bruch in der Mülheimer Zeitung verkündet. Dieses Abschiedsläuten fand am Sonntag, dem 24. Juni 1917 von 12 bis 13 Uhr statt. Angestimmt vom ehrwürdigen Geläut der Petrikirche erklangen nun zum letzten Mal für viele Jahre alle Mülheimer Glocken. Von diesem für die Mülheimer traurigen Junitag an konnten nur noch die wenigen verbliebenen kleinen Glocken läuten. Das "Abschiedsläuten" war hingegen mehr als eine sentimentale Geste. Das Einschmelzen der alten Kirchenglocken steht auch stellvertretend für die großen Versorgungsschwierigkeiten und die Notlage der Zivilbevölkerung während des Ersten Weltkrieges, die spätestens seit dem so genannten "Steckrübenwinter" 1916/17 unter großen Entbehrungen zu leiden hatte.

Nach Kriegsende 1918 wurden in den Mülheimer Kirchen im Laufe der Zeit neue Glocken angeschafft. So erhielt zum Beispiel die Petrikirche ein neues Geläut aus den drei Glocken "Königin Luise", "Gerhard Tersteegen" und "Wyrich VI." in der Klangfolge "es", "des" und "b", die 1921 beim Bochumer Verein gegossen wurden. Um einer zukünftigen Beschlagnahmung vorzubeugen, wurden diese Glocken jedoch nicht wieder aus Bronze, sondern aus Gussstahl hergestellt. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Glocken beim großen Bombenangriff im Juni 1943 beschädigt, bzw. zerstört. Nach ihrer Instandsetzung und dem Neuguss der großen Glocke "Königin Luise" im Jahr 1955 war das Geläut der Petrikirche schließlich wieder komplett.

Autor: K. Rawe

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Stand: 12.12.2019

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