Das Projekt "Stolpersteine" in Mülheim an der Ruhr
Seit 2004 gibt es in Mülheim die bundesweit bekannten Stolpersteine von Gunter Demnig. Dabei handelt es sich um quadratische Betonblöcke, auf denen eine beschriftete Messingplatte angebracht ist. Mit diesen Gedenktafeln wird an das Schicksal der Menschen erinnert, die im Nationalsozialismus ermordet wurden. Verlegt werden die Gedenksteine vor dem letzten frei gewählten Wohnsitz des Opfers.
Gunter Demnig startete sein Erinnerungsprojekt am 4. Januar 1995 mit der Verlegung der ersten Steine in Köln - damals noch ohne amtliche Genehmigung.
Demnigs Leitmotiv besteht darin, den NS-Opfern, die in den Lagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückzugeben. Auch soll das Bücken zur Entzifferung der Daten eine symbolische Verbeugung vor den Opfern sein. Dennoch geht es Demnig nicht um ein wirkliches Stolpern. „Man stolpert nicht und fällt hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen“, so der Künstler.
2004 fand Demnigs Erinnerungsprojekt den Weg nach Mülheim an der Ruhr. Aus Anlass ihres 75-jährigen Schuljubiläums waren Schüler der Realschule Stadtmitte in Karteien aus den 1930er Jahren auf Namen von ehemaligen jüdischen Schülern gestoßen. Einige von ihnen waren in Konzentrationslagern umgekommen. Um daran zu erinnern, nahm man mit Gunter Demnig Kontakt auf. Am 18. Dezember 2004 konnten dann dank großzügiger Spenden die ersten sieben Stolpersteine in Mülheim verlegt werden.
Die Mülheimer Initiative für Toleranz (MIT) setzte die Aktion fort. Dazu wurde ein Arbeitskreis "Stolpersteine" gegründet, der sich aus Mitgliedern der MIT, Geschichtslehrern, Schülern sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzte und bis 2019 bestand. Das Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr unterstützte die Mitglieder des Arbeitskreises bei der Recherche nach Quellen, Daten und Fakten zur Erstellung der Biografien der NS-Opfer und bleibt auch weiterhin Ansprechpartner für Interessierte, die mit einem Stolperstein an das Schicksal Mülheimer Bürger erinnern möchten.
In Abgrenzung zu anderen Städten beschloss der Arbeitskreis, nicht nur Verfolgte jüdischen Glaubens, sondern sämtliche Opfer des NS-Regimes zu berücksichtigen, wie politisch Verfolgte, Sinti & Roma, Lesben & Schwule, Behinderte, Bibelforscher (Zeugen Jehovas) sowie Wehrmachtsdeserteure. Mit Hilfe von archivischen Quellen und durch Befragung von Zeitzeugen wollte man den Opfern ein "Gesicht" geben. Ziel war es, nicht nur die Lebensdaten zu recherchieren, sondern auch die Lebensumstände der Betroffenen. Unter diesem Leitgedanken wurden 10 Opfer ausgewählt und im Oktober 2007 mit Stolpersteinen geehrt.
Von 2008 bis 2014 führte der Arbeitskreis neun weitere Verlegungen durch. Im Herbst 2015 kamen fünf Stolpersteine, deren Biografien Schüler und Schülerinnen der Stolperstein-AG des Gymnasiums Broichs erarbeitet hatten, im Januar 2017 neunzehn und im Mai 2018 sieben Stolpersteine für Personen, deren Biografien ebenfalls von Schülern und Schülerinnen der Stolperstein-AG des Gymnasiums Broichs erstellt wurden, hinzu. Hervorzuheben mit den 2018 erarbeiteten und verlegten Stolpersteinen ist der von Anna Lena Höhne 2018 gedrehte Film darüber. Er zeigt dokumentarisch die Herangehensweise an die Recherche zu den Biografien, enthält aber auch Spielfilmszenen. In ihnen wird das Schicksal der Familie um Otto Rosenbaums Tochter, Edith und ihrem Ehemann Gustav Altgenug, die in Berlin lebten, dargestellt. Dramatisch wird die Situation als Beide 1943 nach Auschwitz deportiert werden. Denn sie haben eine erst zweijährige Tochter. Judith, so heißt das kleine Mädchen, wird von der Großmutter, Luise Rosenbaum, die in Mülheim lebt, versteckt und gerettet.
Mit dem Aufruf des Videos wird eine Verbindung zu youtube.com aufgebaut.
Unter den Biografien, für die im Januar 2017 Stolpersteine verlegt wurden, war auch eine von einer Schülerin der Luisenschule im Rahmen einer Facharbeit im Fach Geschichte erstellte Biografie.
Derzeit befinden sich insgesamt 175 Stolpersteine für 173 Opfer des NS-Regimes an 93 Verlegeorten verteilt über das Stadtgebiet (Stand: Mai 2022). Für zwei Opfer wurden Stolpersteine an zwei Orten verlegt. 131 Steine erinnern an Opfer jüdischen Glaubens, 21 an politisch Verfolgte bzw. Widerstandskämpfer, wovon drei auch jüdischen Glaubens waren, drei an Bibelforscher (Zeugen Jehovas), fünf an Opfer der Euthanasie, sieben Steine an eine Sinti-Familie und 6 Steine an NS-Opfer, die diesen Gruppen nicht zuzuordnen sind. Die letzte Verlegung fand am 4. Mai 2022 mit sieben Stolpersteinen an zwei Verlegeorten statt.
Es gibt viele engagierte Lehrer, die mit ihren Schülern das Projekt unterstützen, darunter Arbeitsgruppen der Realschule an der Mellinghofer Straße sowie des Gymnasiums Broich.
Die Präsentation des Projekts im Internet erhält regelmäßig positive Reaktionen aus dem In- und Ausland und hat schon zu Nachfragen aus Holland, Mexiko, Israel, den USA und anderen Ländern geführt. Zahlreiche weitere Projekte sind aus dem Mülheimer Stolpersteinverlegungen hervorgegangen. So gibt es seit Anfang 2010 eine Stolperstein-Wanderausstellung, die von Schülerinnen und Schülern der Realschule an der Mellinghofer Straße in einer Stolperstein-AG erarbeitet worden ist und die über die Schulleitung gebucht werden kann (Telefon: 0208 455-4451).
Mit der 2022 neu präsentierten App des WDR auch zu allen in Mülheim an der Ruhr verlegten Stolpersteinen wird Erinnerungskultur für junge Menschen erlebbarer. Die App ist für die beiden Plattformen iOS und Android kostenlos verfügbar und kann dann auf dem üblichen Weg über die so genannten “Stores” heruntergeladen werden:
https://apps.apple.com/de/app/stolpersteine-nrw/id1582598963
https://play.google.com/store/apps/details?id=de.WDR.Stolpersteine_NRW
Dieselben Inhalte und Funktionalitäten sind auch auf der Webseite https://stolpersteine.wdr.de verfügbar. Dort finden Lehrende zusätzlich auch noch in fünf Modulen zusammengestellte Unterrichtsinhalte und –materialien zum Downloaden.
Ebenfalls angeregt durch das Projekt "Stolpersteine" hat die Mülheimer Stadtmarketinggesellschaft (MST) einen Stadtrundgang konzipiert, bei dem die Stolpersteine im Mittelpunkt stehen.
Begleitend zum Stolpersteinprojekt ist mit finanzieller Unterstützung der Sparkassenstiftung eine Dokumentationsmappe erschienen, die die Biographien der einzelnen NS-Opfer enthält. Die Mappe wurde als Loseblattsammlung angelegt, so dass die neu verlegten Stolpersteine berücksichtigt und neue Opferbiographien hinzugefügt werden können. Die Dokumentation wurde an Schulen, Jugendeinrichtungen und mit Jugendarbeit befasste kirchliche Einrichtungen kostenlos abgegeben. Privatpersonen können die Mappe im Lesesaal des Stadtarchivs einsehen und gegen Gebühr Kopien daraus anfertigen lassen.
Im November 2011 wurde dem "Arbeitskreis Stolpersteine" der Hoffnungspreis des Evangelischen Kirchenkreises Mülheim an der Ruhr verliehen. Der eine Teil des Preisgeldes floss in die Verlegung von weiteren Stolpersteinen, mit dem anderen Teil wurde eine Informationsbroschüre über das Projekt finanziert, die im Stadtarchiv und anderen Kultureinrichtungen kostenlos erhältlich ist.
Pflege der verlegten Stolpersteine
Die im Stadtgebiet verlegten Stolpersteine unterliegen verständlicherweise einer gewissen Abnutzung. Auch setzt die Messingplatte der Steine mit der Zeit Patina an. Damit verliert sie ihren Glanz.
Es wäre schön, wenn die Steine regelmäßig mit einer Politur gereinigt werden könnten und wenn entfernte Stolpersteine, Beschädigungen oder Zerstörungen an das Stadtarchiv unter 455-4260 oder unter der Nummer des Bürgertelefons 455-0 gemeldet werden.
Allen sei Dank, die Steine wieder zum Glänzen bringen, damit diese auch weiterhin auffallen und das Erinnern an die Opfer des NS-Zeit wach halten.
Biografien
Biografien zu den Stolpersteinen
Downloadbereich und Links:
Übersicht der in Mülheim an der Ruhr verlegten Stolpersteine, Liste A
(geordnet nach Familiennamen)
Übersicht der in Mülheim an der Ruhr verlegten Stolpersteine, Liste B
(geordnet nach Straßennamen)
Informations- und Quellensammlung zur Erforschung von NS-Opferbiografien
Das Projekt "Stolpersteine" von Gunter Demnig
Kartenansicht
Die Stolpersteine sind alle in der OpenStreetMap (OSM) eingetragen und können in einer entsprechenden Kartenansicht betrachtet werden.
Kontakt
Stand: 17.04.2023
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