Mülheimer Baudenkmäler: Die Alte Augenklinik
Das Gebäude der Alten Augenklinik wurde um 1901 vermutlich von dem Mülheimer Architekten Franz Hagen als Ausflugslokal gebaut und unter dem Namen "Johannesburg" einige Jahre lang von dem Mülheimer Gastwirt Johann Schmits als Sommerwirtschaft betrieben. Im Jahre 1904 stellte er den Restaurantbetrieb ein und verkaufte das Lokal samt Grundstück an die Eheleute Dr. Hermann und Margarete Leonhard.
Margarete Leonhard, geborene Stinnes, war die Tochter des Mülheimer Kaufmanns und Firmengründers Mathias Stinnes. Der Vater von Hermann Leonhard arbeitete als Leitender Arzt am Evangelischen Krankenhaus. Genau wie sein Vater hatte Hermann Leonhard Medizin studiert und arbeitete nun am Evangelischen Krankenhaus, zunächst neben seinem Vater, nach dessen Pensionierung dann selbst als Chefarzt. Seit 1860 von einem chronischen Augenleiden geplagt, begann er, sich für das noch junge Spezialgebiet der Ophthalmologie (Augenheilkunde) zu interessieren.
Da die beiden Kinder des Ehepaares Leonhard früh verstorben waren und es somit keinen direkten Erben gab, suchten Hermann Leonhard und seine Frau anderweitig nach einer sinnvollen Verwendung ihres ansehnlichen Vermögens. Sie entschieden sich, insgesamt drei wohltätige Stiftungen zu gründen: die Gretchen-Leonhard-Stiftung (1903), die Schenkung Augenheilanstalt (1904) sowie die Leonhard-Stinnes-Stiftung (ebenfalls 1904) zur finanziellen Absicherung der beiden anderen Stiftungen. Der Beweggrund für die Schenkung Augenheilanstalt war, eine Klinik für mittellose Augenkranke zu gründen und dafür das Gebäude der ehemaligen Johannisburg samt Grundstück der Stadt Mülheim zu überlassen.
In der Schenkungsurkunde vom 23. Februar 1904 verfügten die beiden Stifter die ausschließliche Nutzung der Besitzung "zur Errichtung und zum Betrieb einer Augenheilanstalt für Unbemittelte und Arme, welche dort unentgeltlich ärztliche Behandlung und Verpflegung finden können". Vorbild für diese Gründung war vermutlich Hermann Leonhards ehemaliger Professor Albrecht von Graefe, der in Berlin eine Privatklinik für bedürftige Augenkranke führte und in seinen Vorlesungen an der Berliner Humboldt-Universität einen tiefen Eindruck bei dem jungen Studenten hinterlassen hatte.
Als Spezialklinik stellte die Mülheimer Augenheilanstalt in der damaligen Zeit eine Besonderheit dar, auch in Bezug auf Größe und Ausstattung. Die Ophthalmologie war als selbständiges medizinisches Fachgebiet noch relativ jung und entsprechende Fachkliniken selten. Nach dem Evangelischen Kranken- und Versorgungshaus von 1850 und dem katholischen Sankt-Marien-Hospital von 1887 war dies die dritte Klinik in Mülheim.
Nach einer Planungs- und Bauzeit von rund zwei Jahren wurde die Augenheilanstalt am 4. Juli 1907 feierlich eingeweiht. Knapp zwei Wochen später - am 16. Juli 1907 - wurde der Klinikbetrieb unter der Leitung des ersten Chefarztes Dr. Otto Stuelp aufgenommen. Der Stifter Hermann Leonhard erlebte die Eröffnung nicht mehr – er war Ende 1905 verstorben.
Nachdem anfangs die Aufnahmekapazität bei 25 Patienten lag, stieg die Bettenzahl nach fünf Jahren bereits auf 50, bis Ende des Zweiten Weltkriegs auf 87 und wurde 1950 mit 105 sogar dreistellig. Der medizinische Ruf und die Größe der Klinik zogen überregional zahlreiche Patienten an.
Der Zweite Weltkrieg und inbesondere der große Bombenangriff auf Mülheim am 22./23. Juni 1943 richteten verheerende Schäden am Gebäude an. Das Dachgeschoss sowie die Giebel wurden komplett zerstört, so dass der Betrieb eingestellt werden musste. Die anfangs eher notdürftigen Wiederherstellungen von zerstörten Gebäudeteilen nach dem Krieg veränderten das ursprüngliche Erscheinungsbild der Augenheilanstalt erheblich und nahmen ihr das ursprüngliche, charakteristische Erscheinungsbild.
Anfang der 1980er Jahre machten der äußerst bedenkliche hygienische und technische Zustand des Gebäudes einen Neubau unausweichlich. In unmittelbarer Nähe des Evangelischen Krankenhauses entstand von 1983 bis 1985 ein moderner, neuer Klinikbau, der den gestiegenen medizinischen Ansprüchen Rechnung trug. Nach der Verlagerung des Krankenhausbetriebs an den neuen Standort wurde das alte Gebäude an die Stadt Mülheim vermietet. Diese nutzte die Räume in den folgenden 20 Jahren zur Unterbringung von städtischen Ämtern sowie als Außenmagazin des Stadtarchivs. Nach einem Beschluss der Leonhard-Stinnes-Stiftung, das Haus dauerhaft zu erhalten und zu einem Haus der Stadtgeschichte umzubauen, wurde es von Grund auf saniert. Nach Sanierung und Umbau haben die Musikschule sowie das Stadtarchiv hier eine neue Heimat gefunden und füllen seit dem Frühjahr bzw. dem Herbst 2013 das Haus mit kultureller Lebendigkeit und Vielfalt.
(Bearbeitete u. gekürzte Fassung von "Die Augenheilanstalt von 1907" von Monika von Alemann-Schwartz, in: Zeugen der Stadtgeschichte - Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr. Klartext Verlag, Essen 2008)
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Stand: 30.08.2017
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