Festakt 75 Jahre Kommunalwahlen (2021)
Grußwort Oberbürgermeister Marc Buchholz
anlässlich der Feierstunde „75 Jahre Kommunalwahl“
am Freitag, 8. Oktober 2021, 17 Uhr
Ratssaal
***
Sehr geehrter Herr Innenminister Reul,
sehr geehrte Mitglieder des Rates und der Bezirksvertretungen der Stadt Mülheim an der Ruhr,
liebe Bürgerinnen und Bürger,
liebe Gäste,
ich begrüße Sie alle herzlich im Ratssaal der Stadt Mülheim an der Ruhr. Ihr Interesse zeigt mir, dass auch Sie zu den Menschen gehören, die unsere Demokratie als die beste uns bekannte Regierungsform schätzen…
Letztendlich ist - wenn wir Ephraim Kishon, dem großen Satiriker, glauben - die Demokratie „bekanntlich das beste politische System, weil man es ungestraft beschimpfen kann“. Was ja auch viele gerne und zu Recht oder zu Unrecht tun.
Besonders freue ich mich darüber, dass unser Innenminister, Herbert Reul, heute bei uns ist. Dass wir ihn trotz der Sitzungswoche im Landtag als Festredner für unsere Veranstaltung gewinnen konnten, macht mich stolz.
Und ich freue mich mit Ihnen, liebe Gäste, aus „erster Hand“ zu erfahren, wie denn der Innenminister den Zustand unserer Demokratie in seiner Festrede beschreibt.
Liebe Gäste,
vor 75 Jahren, am 13. Oktober 1946, fanden in unserer Stadt die ersten demokratischen Wahlen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Wie wichtig dieses Ereignis war, zeigt sich auch daran, dass am 29. September 1946 Konrad Adenauer, unser erster Bundeskanzler, mit einem Wahlkampfauftritt zu Gast in Mülheim, im Speisesaal der Familie Schmitz-Scholl, war.
Die britische Militärregierung hatte am 30. Mai 1946, also noch vor Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen am 23. August 1946, das Wahldatum festgesetzt.
Fast 91.000 Mülheimerinnen und Mülheimer waren aufgerufen, an diesem Tag ihre Abgeordneten in die neue Stadtvertretung zu wählen.
Die britische Militärregierung setzte damals ganz bewusst auf eine Demokratisierung der deutschen Gesellschaft „von unten“.
Die Bürgerinnen und Bürger waren aufgerufen, darüber zu entscheiden, wer die Geschicke ihrer Stadt lenken und vor allem Verantwortung übernehmen sollte.
Nach der nationalsozialistischen Diktatur, nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, waren die Mülheimerinnen und Mülheimer bereit dazu:
Die Wahlbeteiligung erreichte 79 Prozent.
Der Wille zum Aufbau von Demokratie und die Bewahrung von Frieden und Freiheit einte damals die parteipolitischen Kontrahent*innen. Sie ließen sich auch nicht von räumlichen Widrigkeiten abhalten: Da der Ratssaal im Krieg zerstört worden war, tagten die 39 Abgeordneten zunächst im Haus Kron - und erst ab 1956 wieder im Rathaus.
Es ist schon eine Tragik in der deutschen Geschichte, dass wir Deutschen erst eine Demokratie – die Weimarer Republik – zugrunde richten und auf Kosten beinahe der ganzen Welt eine der menschenverachtendsten Diktaturen aufbauen mussten, - bevor uns der Wert von Demokratie wieder bewusst wurde.
Wenn ich sehe, dass wir in Mülheim bei der letzten Kommunalwahl gerade einmal eine Wahlbeteiligung von 50,2 Prozent erreicht haben, mache ich mir große Sorgen:
Wir als Nachkriegsgeneration sind in eine Demokratie hineingeboren worden. Wir erleben sie als selbstverständlich – und scheinen uns ihres Wertes nicht immer bewusst zu sein.
Natürlich ist auch unsere Demokratie nicht perfekt:
Individuelles Fehlverhalten von Politikerinnen und Politikern, eine mediale Berichterstattung, die häufig nicht mehr auf Information und Ausgewogenheit setzt, und die Beobachtung, dass Einzelinteressen vielfach an die Stelle von Gemeinsinn treten, schaden ihr.
Ja, wir stehen vor großen Herausforderungen.
Unsere Zukunft ist durch die Corona-Pandemie, den Klimawandel und politische Machtverschiebungen unsicherer geworden.
Aber glauben Sie mir: Diese Probleme wären in einem anderen als dem demokratischen System nicht besser zu lösen. Ich jedenfalls kenne keines.
Wir müssen uns aber auch klarmachen, dass eine Demokratie immer nur so gut funktioniert, wie die Menschen, die für sie verantwortlich sind.
Demokratie braucht Meinungsfreiheit, Austausch, transparente Entscheidungen und Bürger*innenbeteiligung.
Sie ist aber auch – nach Winston Churchill, - „die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen“. Und sie fordert uns heraus, uns unserer eigenen Angelegenheit anzunehmen.
Es nutzt nichts, auf die Unfähigkeit des Staates zu schimpfen. Das Volk und seine gewählten Volksvertreter*innen, also wir alle, sind es, die mit demokratischen Mitteln unsere Probleme lösen müssen.
Wir alle müssen für unsere Demokratie einstehen.
Wir müssen uns klarmachen, was wir verlieren würden, wenn wir der Demokratie den Rücken kehren: ein Leben in Frieden und Freiheit.
Allgemeine Anrede
Lassen Sie mich mit positiven Gedanken enden:
73 Prozent der Deutschen waren im Winter 2020/2021 sehr zufrieden oder ziemlich zufrieden damit, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert.
Und 76,6 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme vor wenigen Wochen bei der Bundestagswahl abgegeben. Das waren zwar nur 0,4 Prozent mehr als bei der Wahl zuvor. Aber rund 6 Prozent mehr als 2009.
Vielleicht haben wir verstanden. Arbeiten wir daran, denn:
„Wir brauchen die Demokratie – aber ich glaube: Derzeit braucht die Demokratie vor allem uns“, so unser Bundespräsident, Frank Walter Steinmeier.
An diesem Tag, am Tag der Erinnerung an die erste Kommunalwahl 1946, danke ich unseren politischen Vertreterinnen und Vertretern für ihr ehrenamtliches Engagement für die Demokratie und unsere Stadt.
Bleiben Sie mutig und mischen Sie sich weiter ein!
Glück auf!
Kontakt
Stand: 20.10.2022
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