Im Blick
Kunstwerke aus der Sammlung
In loser Folge präsentiert das Kunstmuseum Temporär Kunstwerke der Städtischen Sammlung, der Sammlung Themel und der Sammlung Ziegler, die während der Museumssanierung eingelagert sind als Newsletter. Prominente Gemälde, Schätze der grafischen Sammlung aber auch selten gezeigte Exponate werden vorgestellt und geben einen Vorgeschmack auf die facettenreichen Bestände des Kunstmuseums und die Wiedereröffnung der Alten Post.
Im Juni konnten die beliebten StadtKunstTouren endlich wieder starten! Unterwegs zu Kunst und Kultur im öffentlichen Raum heißt es nun auch in diesem Sommer. Im Mittelpunkt der StadtKunstTour 2 „Kunst im Zusammenspiel zwischen Natur und Architektur“ steht ein Kunstwerk des international renommierten Mülheimer Filmemachers Werner Nekes.
Nahe der Mülheimer Innenstadt an Bergstraße unterhalb der Kfar-Saba-Brücke befinden sich die Kegelanamorphosen.
Das Kunstwerk besteht aus zwei bemalten Betonfeldern, in deren Mitte je ein Stahlkegel errichtet ist. Von der Brücke aus lässt sich jeweils ein Bild als anamorphotische Spiegelung im Kegel erkennen: ein Kleeblatt und eine Nelke. Auf der Brücke weisen die Schriftzüge Anamorphosen in beiden Richtungen auf die Kunstwerke hin.
Errichtet im Jahr 1992 anlässlich der Landesgartenschau, erstrahlen die Felder nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten seit 2020 in ihrer ursprünglichen Farbigkeit. Werner Nekes war leidenschaftlicher Sammler historischer optischer Objekte. Die Entwicklung der Camera Obscura als Hilfsmittel für Künstler, die Gesetze der Perspektive zu erforschen, faszinierte ihn. Einen Schwerpunkt seiner Sammlung bilden Anamorphosen.
Bereits seit dem 15. Jahrhundert beschäftigten sich Künstler mit der Frage, wie sich der dreidimensionale Raum auf einer zweidimensionalen Fläche abbilden lässt. Mit der Reflektion über den Sehvorgang führten auch die Abweichungen von den üblichen Darstellungen zur Hinterfragung der Gültigkeit des Erkennens. So wurden Vorrichtungen und Hilfsmittel entwickelt, die optische Verzerrungen und Verschlüsselungen ermöglichten.
Zur Sammlung Nekes gehören Zeichnungen einer Nelke und eines Kleeblattes aus dem Jahr 1720, die als Inspiration und Vorlage für die beiden Anamorphosen dienten. Es handelt sich um sogenannte katroptische Anamorphosen, das heißt, die Zeichnungen sind kryptisch; das Abgebildete wird nur mit Hilfe eines kegelförmigen Spiegels erkennbar.
Was in der Zeichnung im Kleinen funktioniert, überträgt Nekes als räumlich-erfahrbare Plastik in den Außenraum. Von der Stadt in Richtung Schloß Broich, bilden die Kegelanamorphosen einen optischen und inhaltlichen Hinweis auf die Camera Obscura – das Museum zur Vorgeschichte des Films, das sich dort im ehemaligen Wasserturm befindet. Nekes war Ideengeber und Initiator für die Errichtung einer Camera Obscura im Wasserturm auf dem Gelände der Landesgartenschau.
Am 12. Mai wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Mit seinem Konzept des „Erweiterten Kunstbegriffs“ und der Idee der „Sozialen Plastik“ hat der gebürtige Krefelder die Kunstlandschaft wie kaum ein anderer Künstler geprägt. Er führte Fett und Filz als neue Materialien in die Kunst ein und schuf ein umfangreiches Œuvre, das neben Zeichnungen und Plastiken auch Multiples, Environments und politische Aktionen umfasste.
Anlässlich des kurz bevorstehenden Jahrestages möchten wir Ihnen heute ein Beuys-Plakat aus dem umfangreichen Konvolut an Plakaten des Künstlers vorstellen, das der Förderkreis für das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr e. V. im Jahr 2019 aus dem Besitz des Beuys-Sammlers und Vertrauten Prof. Dr. Axel Hinrich Murken für die städtische Sammlung erwerben konnte.
Die Grenzen zwischen Kunst und Politik waren für Joseph Beuys fließend: Kunst sollte nicht nur in die Politik hineinwirken, sondern „die Politik“ vielmehr „zur Kunst werden“. Als Künstler, der danach strebte, über den klassischen Kunstbetrieb hinaus eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, wurde ihm das gesprochene Wort seit den 1970er-Jahren zu einem bedeutenden künstlerischen Instrument. Den Akt des Sprechens bezeichnete er als „plastischen Prozess“. Bis an den Rand der körperlichen Erschöpfung suchte Beuys das Gespräch mit seinen Mitmenschen. Im Rahmen von öffentlichen Auftritten, Vorträgen und politischen Diskussionsveranstaltungen vermittelte er unermüdlich seine gesellschaftspolitischen Utopien.
Das Plakat „Gespräch über Bäume“ warb für eine Diskussionsveranstaltung, die Beuys zusammen mit seinem Kölner Künstlerkollegen Bernhard Johannes Blume 1982 in der Galerie Magers in Bonn bestritt. Beuys, für den die Natur eine hohe symbolische Kraft hatte, wies in einer Reihe von Gesprächen auf die besondere Bedeutung der Natur für den Menschen und seine Umwelt hin: „Bäume sind wichtig, um die menschliche Seele zu retten“. All diese Gespräche standen im Zusammenhang mit der Vorbereitung der im gleichen Jahr stattfindenden documenta 7 in Kassel. Für dort plante Beuys die Realisierung seiner großen partizipatorischen Aktion „7000 Eichen“. Unter dem Motto „Stadt-Verwaldung statt Stadt-Verwaltung“ sollten 7000 von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt gestiftete Eichenbäume das Erscheinungsbild und die Luftqualität in der stark kriegszerstörten Stadt verbessern. Das in einem kräftigen Grünton gestaltete Plakat wurde von Bernhard Johannes Blume in Schablonentechnik mit Aquarellfarbe gestaltet. In der schematischen Darstellung eines Baums zeichnen sich zu beiden Seiten die Silhouetten der einander zugewandten Gesprächspartner ab. Durch die beiden Stempel „Die reine Vernunft ist grün“ und „7000 Eichen“ wird das Plakat auch optisch in Verbindung zu dem ökologisch ausgerichteten documenta-Projekt gestellt. Das Hinzufügen der beiden Künstler-Signaturen lässt die Drucksache zum unikaten Kunstwerk werden, das zur Finanzierung des Projekts „7000 Eichen“ im Anschluss an die Gesprächsveranstaltung verkauft wurde.
Am 15. März 2021 jährte sich der Todestag des russischen Malers Alexej von Jawlensky zum 80. Mal. Die Sammlung Ziegler im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr verfügt über eine Reihe von repräsentativen Werken des Künstlers, darunter das Gemälde Variation von 1917.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Jawlensky mit seiner Familie und seiner Lebensgefährtin Marianne von Werefkin aus Deutschland ausgewiesen. Weitgehend mittellos kamen die Flüchtlinge in die Schweiz und siedelten sich im Fischerdorf St. Prex am Genfer See an. Durch dieses einschneidende Ereignis wurde Jawlensky gezwungen, seine Malerei neu zu erfinden. „Meine Seele erlaubte mir diese sinnliche Malerei nicht. Ich saß vor meinem Fenster. Vor mir sah ich einen Weg, ein paar Bäume, und von Zeit zu Zeit sah man in der Entfernung einen Berg. Ich fing nun an einen neuen Weg in der Kunst zu suchen. Meine Formate wurden kleiner: 30 x 40. Ich malte sehr viele Bilder, die ich ‚Variationen über ein landschaftliches Thema‘ nannte.“
In Anlehnung an den Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy nannte Jawlensky seine Serie Lieder ohne Worte. Er wollte seine Variationen jenseits von Sprache als absolute Kunst verstanden wissen. Mehr als hundert dieser Variationen entstanden zwischen 1914 und 1921. Immer mehr löste sich Jawlensky von der gegenständlichen Betrachtungsweise, um den stets gleichen Fensterblick zunehmend abstrakter ins Bild zu setzen.
Ein weiteres Highlight aus der Sammlung des Kunstmuseums Mülheim an der Ruhr ist das 1912 entstandene Gemälde des ehemaligen russischen Offiziers und expressionistischen Künstlers Alexej von Jawlensky (1864 bis 1941). Mit schwarz umrandeten, mandelförmigen Augen und stolzer, repräsentativer Haltung schaut die „Infantin“ im Viertelprofil den Betrachter unvermittelt an. Durch den nachtblauen Hintergrund wird die Leuchtkraft der Farbe, besonders das Gelb des Gesichtes, gesteigert. Violett und Rot betonen die katzenartigen Augen, die Kinnpartie und wie ein Tupfer Rouge ihre linke Wange. Der hellblaue Farbschleier, der Kopf und Schultern der Dargestellten umgibt, verleiht ihr eine besondere Aura und verstärkt das geheimnisvolle Erscheinungsbild. Ihre kindhaften Gesichtszüge, die kunstvoll drapierte Haartracht und der Titel deuten darauf hin, dass Werke des spanischen Hof- und Barockmalers Diego Velazquez’ Jawlensky zu diesem Frauenbildnis inspiriert haben. Hierzu zählen beispielsweise die berühmten Porträtdarstellungen der Töchter König Philipps IV., die Infantinnen Maria Teresa und Margarita Teresa. Auch sind Einflüsse der japanischen Holzschnittkunst des Okubi-e mit formatfüllenden und stark konturierten „Großkopf“-Bildern von Schauspielern und Geishas denkbar, von denen Jawlensky fasziniert war und selbst eine Sammlung besaß.
Als gesichert gilt es allerdings, dass ihm Helene Nesnakomoff, seine Geliebte während der langjährigen Beziehung zur Malerin Marianna von Werefkin, Modell stand. Ab 1896 lebten sie in einer komplizierten Ménage-à-trois zusammen in München. Jawlensky und Werefkin, die sich während des Studiums bei Ilja Repin an der Kunstakademie in St. Petersburg kennengelernt hatten, zählten zu den Mitbegründern der neuen Künstlervereinigung München und wirkten im Umfeld des „Blauen Reiters“. Nach der Trennung des Künstlerpaares heiratete Jawlensky 1922 Helene, das frühere Dienstmädchen der Werefkins, und legitimierte damit seinen 1906 geborenen einzigen Sohn Andreas. Gemeinsam mit Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger und Paul Klee bildete er kurz darauf die Ausstellungsgemeinschaft „Die Blauen Vier“.
In seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema des Bildnisses markiert das Gemälde die Phase der expressiven, „gewaltigen Köpfe“, die Jawlensky später in den Werkgruppen der „Mystischen Köpfe“, „Heilandsgesichter“, der „Abstrakten Köpfe“ bis zu seinen „Meditationen“ weiterentwickelte.
Das Meisterwerk „Kühe unter Bäumen“ von Franz Marc (1880 bis 1916) aus der Sammlung des Kunstmuseums Mülheim an der Ruhr steht exemplarisch für eine neue Sicht auf das Tier in der Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Künstler richtete fast ausschließlich seinen Fokus auf Tierdarstellungen und sorgte mit seinen farbenprächtigen Kompositionen und begleitenden kunsttheoretischen Schriften für eine Neuerung des bis dato wenig beachteten Topos in der Malerei der Moderne. Für den Mitbegründer der Redaktionsgemeinschaft „Der Blaue Reiter“ verkörperte das Tier in seiner Schönheit und Reinheit die Idee einer vollkommenen Schöpfung, was sich auch in den Werken des umfangreichen Marc-Bestands der im Kunstmuseum beheimateten Stiftung Sammlung Ziegler widerspiegelt.
Von ihm als „Animalisierung der Kunst“ beziehungsweise „des Kunstempfindens“ bezeichnet, suchte Marc das innere Wesen des Tieres zu entschlüsseln und seine äußere Form mit der umgebenden Natur als harmonische Einheit sichtbar zu machen. Nach naturalistischen Anfängen und intensiven Anatomiestudien wurden Abstraktion, Form- und Farbkorrespondenzen sowie bewusst gesetzte Kontraste die Mittel seiner Wahl.
Im Gemälde sind die beiden Kühe, die im Schatten einer Baumgruppe in einer hügeligen Landschaft weiden und dem Betrachter ihre Kehrseite zuwenden, bildgewaltig ins Zentrum gesetzt. Ihre Rückenlinien verlaufen parallel zum Horizont in der Ferne, der das saftige Grün der Weide vom wolkenlosen blauen Himmel trennt. Die organischen Formen der Tierkörper wiederholen sich in den geschwungenen Umrissen der flankierenden Bäume, deren Kronen fließend ineinandergreifen und die Kühe schützend überdachen.
In den gesteigerten Lokalfarben bildet sich das komplette Schema der von Franz Marc entwickelten Farbsymbolik ab: „Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden bekämpft und überwunden werden muß!“ Auch den Mischtönen dieser drei Grundfarben ordnete Marc charakteristische Farbstimmungen zu, die wiederum das Verwenden der jeweiligen Komplementärfarbe zur „Versöhnung“, aber auch zur Verstärkung ihrer Wirkung „unerläßlich“ mache.
(Aus einem Brief von Franz Marc an August Macke vom 12. Dezember 1910, zitiert nach: August Macke – Franz Marc, Briefwechsel, Köln 1964., Seite 27 f.)
Angesichts der heißen Sommertemperaturen fällt im Juli unser Blick auf das im Jahr 1921 entstandene Gemälde des Malers Ernst Ludwig Kirchner (1880 bis 1938) aus der Sammlung des Kunstmuseums Mülheim an der Ruhr, auf dem drei badende Frauen in einem Gebirgsbach dargestellt sind.
Zwischen zerklüfteten Felsen erfrischen sie sich ungezwungen und hüllenlos im kühlen Quellwasser. Als Kulisse erheben sich hohe, dunkle Tannen, während die Figuren im Zentrum des Bildes durch eine expressiv-leuchtende Farbigkeit bestechen. Akzente aus Violett und grellem Gelb treten hervor und bilden einen starken Komplementärkontrast.
Bereits 1917, nach seinem freiwilligen Dienst im Ersten Weltkrieg, der mit einem körperlichen und psychischen Zusammenbruch einherging, zog es Kirchner nach Davos. Mehrere Sanatoriums-Aufenthalte brachten keine Besserung seines Gesundheitszustands und er suchte in der Abgeschiedenheit der Schweizer Bergwelt nach Erholung und neuen künstlerischen Impulsen. Überwältigt von der unberührten Alpenlandschaft, ergründete er in seinen Werken den Einklang von Mensch und Natur. Wie viele Künstler und Künstlerinnen seiner Zeit und beeinflusst von der Lebensreformbewegung, thematisierte er auch die Nacktheit im Freien als sinnliche Erfahrung und als Loslösung von prüden Moralvorstellungen und überkommenen Konventionen. Kirchers Lebensgefährtin Erna Schilling stand ihm ebenso Modell wie die befreundete Ausdruckstänzerin Nina Hardt. Bei der dritten im Bunde könnte es sich um Ernas Schwester Gerda handeln.
Doppelseitig bemalt, zeigt die andere Seite des Gemäldes eine deutlich frühere, noch zu Kirchners Brücke-Zeit entstandene intime Interieurszene „Zwei Frauenakte“ – vermutlich wieder Erna und Gerda Schilling, die eine stehend mit einem Fächer in der Hand, die andere auf einem Sessel sitzend im Berliner Atelier des Künstlers im Jahr ihres Kennenlernens 1911. Ein bemalter Paravent mit einer erotischen Tanzszene wie in den berühmten Wandbildern der Höhlen von Ajanta bildet den Hintergrund, vor dem sich die beiden schwarzkonturierten, fleischigen Frauenkörper präsentieren. Ihre maskenhaften Gesichter mit den leeren Augenhöhlen und die blaue Holzfigur am linken Bildrand erinnern an afrikanische und ozeanische Plastik. Beeinflusst durch die Kunst Paul Gauguins und die Sehnsucht nach dem Exotisch-Fremden setzten sich die Brücke-Künstler intensiv mit außereuropäischer Kultur auseinander und fanden Anregungen im Dresdner Völkerkundemuseum. Sicherlich steht die Aktdarstellung, die mit einem Nachlassstempel versehen ist und 1966 in die Museumssammlung kam, auch in der Tradition von Pablo Picassos „Les Demoiselles d’Avignon“ (1907), einem Schlüsselwerk der Moderne.
Zum Start der Sommerferien möchten wir Sie mit August Mackes Gemälde „Beflaggte Kirche“ von 1914 aus der Städtischen Sammlung des Kunstmuseums erfreuen.
Das Ölbild „Beflaggte Kirche“ aus dem Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr entstand im letzten Lebensjahr des Malers August Macke (1887 bis 1914). Mit Unterbrechung durch die legendäre „Tunisreise“ mit seinen Künstlerfreunden Paul Klee und Louis Moilliet hielt sich Macke in dieser Zeit in Hilterfingen am Thuner See auf, wohin er mit seiner Familie übergesiedelt war. Im Herbst 1913 gastierte in Thun die Schweizer Artistenfamilie Knie. Ihre Auftritte auf dem Rathausplatz inspirierten den Künstler zu einer neuen Werkserie. Er fertigte Skizzen vor Ort und arbeitete diese später in seinem Atelier in Aquarell und Öl aus, wie auch im Meisterwerk aus der Städtischen Sammlung des Mülheimer Museums.
Nur das angedeutete Dach und die gelbe Stütze des Zirkuszeltes im Vordergrund des Gemäldes verweisen auf diesen Zusammenhang. Kirche und Häuserfront in der Bildmitte sind in einer architektonischen Strenge durch Kuben und Dreiecksformen wiedergeben. Aufgesplittert in kontrastreich aufeinander abgestimmte Farbflächen spiegelt die Komposition Mackes intensive Auseinandersetzung mit den Strömungen der französischen Avantgardemalerei wider. Er verwendet sowohl Stilelemente des Kubismus als auch des von Robert Delaunay entwickelten Orphismus, der – vom Gegenständlichem losgelöst – die reine Farbigkeit und ihre simultane Wirkung zum Thema hat. Die im Bild gestaffelten, kleiner werdenden Figuren – die Frau im blauen Kleid am vorderen Bildrand, zwei Männer zu ihrer Linken, weitere Gestalten in der Ferne vor den Gebäuden in der Bildmitte, allesamt als gesichtslose Schemen dargestellt – vermitteln bei aller Flächigkeit den Eindruck von räumlicher Tiefe.
Titelgebend und als weiterer vertikaler Akzent befindet sich in der linken Bildhälfte ein Mast mit einer bogenförmigen Flagge aus rot-grünen Stoffbahnen, die auf dem Platz vor dem Kirchenchor weht. August Macke schrieb in einem Brief an seinen Freund, dem Maler Hans Thuar: „Was ich an Neuem in der Malerei gefunden habe, ist Folgendes: Es gibt Farbzusammenklänge, meinethalben ein gewisses Rot und Grün, die beim Ansehen sich bewegen, flimmern (...) Wenn du nun etwas Räumliches malst, so ist der farbige Klang, der flimmert, räumliche Farbwirkung (...) Diese raumbildenden Energien der Farbe zu finden, statt sich mit einem toten Helldunkel zufrieden zu geben, das ist unser schönstes Ziel.“ (Brief von August Macke an Hans Thuar, 12. Februar 1914, in: August Macke: Briefe an Elisabeth und die Freunde, herausgegeben von Werner Frese und Ernst-Gerhard Güse, München 1987, Seite 320).
In Zeiten, in denen das Handeln und Entscheiden einem Balanceakt gleich ein besonderes Maß an Feingefühl, Augenmaß, Abwägen und Austarieren zwischen gebotener Vorsicht und verantwortbarem Risiko erfordern, mag das Motiv des „Seiltänzers“ wie in der Farblithografie von Paul Klee (1879 bis 1940) ein treffendes Sinnbild sein.
Die nach einer Bleistiftzeichnung entstandene Originalgrafik auf Bütten aus der Sammlung Ziegler im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr erschien 1923 als Blatt IV der berühmten Bauhaus-Mappe „Kunst der Gegenwart“ in einer Gesamtauflage von 300 Exemplaren.
1921 war Paul Klee von Walter Gropius an das Staatliche Bauhaus berufen worden, wo er bis 1931 wirkte und neben der praktischen Werklehre als Leiter der Buchbinderei, Metallschmiede, Glasmalerei und Weberei in seinen Vorlesungen und Kursen die Theorie der bildnerischen Formenlehre vermittelte.
In Klees Werk nehmen grafische Arbeiten einen besonderen Stellenwert ein und er entwickelte eine unverwechselbare Zeichensprache: Der Mitbegründer der Neuen Münchener Sezession und der Gruppe „Die Blauen Vier” mit den Künstlern Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky und Lyonel Feininger verband Elemente kindlichen Zeichnens und vereinfachte Symbole mit streng geometrischen Formen zu poetisch-vieldeutigen und humorvollen Bilderzählungen. Seine durchkomponierten Darstellungen, in denen Linien und Flächen spannungsreich miteinander in Beziehung gesetzt werden, folgen dem Prinzip von Gewicht und Gegengewicht.
Als Strichmännchen dargestellt, vollzieht der Akrobat sein schwindelerregendes Kunststück auf einer Schrägen, die parallel zum Querbalken eines aus dem Lot geratenen Kreuzes erscheint. Durch den Druck einer gefärbten Tonplatte, die horizontalen und vertikalen Achsen freilassend, erscheint es hell vor rotem Grund und gibt die Koordinaten eines imaginären Raumes wieder. Das schiefe Kreuz ist ein Zitat der Farblithografie „Gruss und Heil den Herzen“ von Klees Wegbegleiter Johannes Itten aus der zwei Jahre zuvor herausgegebenen, ersten Bauhaus-Mappe. Darüber hinaus verbirgt sich in dem Gefüge aus fluchtenden und im Winkel angeordneten Linien unterhalb des Seils nicht nur eine angedeutete Strickleiter als rettender Abgang, sondern auch ein reduzierter Profilkopf als Verweis auf das von Oskar Schlemmer entworfene Bauhaus-Signet.
Zurückschauend vorwärtsgehend, lässt sich der Seiltänzer mit Blick auf den Richtungsstreit am Weimarer Bauhaus als Metapher für den Künstler zwischen Neuerung und Rückbesinnung deuten; allgemeingültig aber auch für das Leben an sich, in dem ein scheinbar festes Gerüst aus den Fugen geraten kann und die Herausforderung darin besteht, gegensätzlich wirkende Kräfte wieder in Balance zu bringen.
Das Aquarell „Blick in den Garten“ der aus Riga stammenden Künstlerin Ida Kerkovius (1879 bis 1970) besticht durch seine leuchtende Farbigkeit und Leichtigkeit. Es zeigt einen abstrahierten Garten in Aufsicht mit aneinandergefügten Beeten und angedeuteten Pflanzen in fantasievoller, kindlich-naiver Manier. Die dargestellte Figur am rechten unteren Bildrand hält den Betrachtenden wie zum Gruß eine rote Blume entgegen. Geometrische Formen mit ornamenthaften Mustern, Punkten, Schraffuren und einzelnen Farbflächen bilden das Gerüst dieser Komposition.
Beeinflusst durch die Formensprache des Kubismus, des Expressionismus und der abstrakten Malerei, setzt Ida Kerkovius spielerisch und spannungsreich Eindrücke dreidimensionaler Natur ins Zweidimensionale um. Diese besondere Art des „flächigen Sehens“ und des „ein Etwas von dem Gesehenen“ festzuhalten erlernte sie von dem Maler und Kunstpädagogen Adolf Hölzel in der Künstlerkolonie Dachau und später als seine Meisterschülerin und Assistentin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Auf der Suche nach Neuem setzte Ida Kerkovius das Studium von 1920 bis 1923 am Weimarer Bauhaus fort und besuchte Kurse bei Johannes Itten, Georg Muche und Wassily Kandinsky. Der Wechsel in die Klasse von Gunta Stölzl offenbarte ihre Begabung im Bereich des textilen Gestaltens und der Handweberei: Ihre außergewöhnlichen Bildteppiche und Wandbehängen begeisterten nicht nur Walter Gropius und Paul Klee, sondern sicherten auch ihr finanzielles Auskommen nach der Bauhaus-Zeit und der Rückkehr nach Stuttgart.
Ida Kerkovius‘ intensive Auseinandersetzung mit Textilkunst ist in der vermutlich in den 1950er-Jahren entstandenen Gartendarstellung aus der Mülheimer Museumssammlung spürbar, die in gewisser Weise an Patchwork erinnert.
Auf einem Betonsockel umspielen sechs rauten- und ellipsenförmige Elemente mit konkaven, nach innen gewölbten Flächen eine große, wellenartige Form. Bei frontaler Betrachtung wirken die Elemente trotz ihrer Wölbungen flächig. Der Titel „Akrobaten“ führt die Assoziationen bei der Betrachtung weiter: Das größte Element im oberen Drittel erinnert an einen Kopf, die Wellen-Form darunter an einen ausgestreckten Arm. Alles wirkt bewegt und dynamisch, aber nicht fragil, sondern ausgewogen und in Balance.
Beim Blick von der Seite fällt die tiefe Wölbung der einzelnen Teile auf. Der Eindruck einer fein austarierten Balance wird in dieser Ansicht noch verstärkt.
Die „Akrobaten“ zeigen Bewegung. Die blank polierte, gewölbte Bronze wirkt wie aufgeblasen, leicht wie ein Ballon, der nach oben steigt – und bildet so einen Widerspruch zwischen formal leichter Anmutung und tatsächlicher Schwere und Starre des Materials. Das Thema der Balance, des Austarierens der dargestellten Massen ist ein zentrales Thema im künstlerischen Œuvre Lajos Bartas.
Der 1899 in Budapest geborene Bildhauer hat sich schon in den 1940er Jahren mit diesem Thema befasst; erste figurative Akrobaten-Plastiken entstehen in Auseinandersetzung mit der Künstlergruppe „Abstraction – Création“, zu denen unter anderem Alexander Calder, Lázló Moholy-Nagy, Hans Arp und Constantin Brancusi zählten. Die andauernde Beschäftigung mit dem Sujet der Akrobatik veranschaulichen zahlreiche Klein-Plastiken und Zeichnungen bis in die 1970er Jahre. Das Plakat zur ersten Museums-Ausstellung in Deutschland „Lajos Barta. Plastiken und Zeichnungen“ aus dem Jahr 1970 zeigt die Gips-Plastik der „Akrobaten“, die drei Jahre zuvor entstand. Die Mülheimer Plastik stellt eine Vergrößerung dieser Arbeit dar. Im Rahmen eines „Kunst am Bau“-Auftrags wurde das Objekt unter Anleitung des Künstlers aufgestellt – aufgrund der begrenzten Mittel in der Ausführung etwas kleiner als ursprünglich geplant.
Bartas Leben war massiv geprägt durch die politischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert: Er erlebte Verfolgung und Repression durch die Nationalsozialisten, später dann durch das sozialistische Regime in Ungarn. Reisen führten ihn wiederholt nach Italien, Frankreich und Deutschland. Ab 1965 fand er sein Zuhause im Rheinland. Er verstarb am 13. Mai 1986 in Köln. Zahlreiche Arbeiten im öffentlichen Raum, unter anderem in Köln, Bonn und Siegen wie auch das Werk in Mülheim an der Ruhr halten die Erinnerung an diesen bedeutenden europäischen Künstler wach.
Die „Akrobaten“ an der Otto-Pankok-Schule sind ein Schlüssel zu Bartas gesamtem Schaffen. Er selbst fasste im Rahmen der Aufstellungsarbeiten die Essenz des Werkes – mit einem Augenzwinkern – in einem Reim zusammen: „Am schönsten ist das Gleichgewicht, kurz bevor’s zusammenbricht.“
Den Auftakt macht zum Valentinstag eine Schwarz-Weiß-Fotografie von Karl Heinz Hargesheimer, genannt Chargesheimer: Wie die im Moment eingefrorene Szenen aus einem Liebesfilm, hat der Kölner Fotograf das sich küssende Paar von der anderen Seite der Theke einer Kneipe aus herangezoomt und in den Fokus genommen. Typische Hell-Dunkel-Kontraste und atmosphärische Unschärfen am Rand verstärken die voyeuristisch-angehauchte Stimmung. Die Aufnahme stammt aus dem Bildband „Cologne intime“ (1957), mit dem Chargesheimer bekannt wurde. Gemeinsam mit anderen ausgewählten Motiven wurde es 2008 als Edition für die Griffelkunst-Vereinigung Hamburg herausgegeben.
Chargesheimer, 1924 in Köln geboren, zählt neben August Sander, Erich Salomon und Otto Steinert zu den großen deutschen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Nach seinem Studium an der Kölner Werkschule war er ab 1947 freiberuflich als Fotograf tätig, hatte von 1951 bis 1956 einen Lehrauftrag an der Bild- und Klang Fotoschule in Düsseldorf und widmete sich ab den 1960er-Jahren intensiv der Theaterarbeit als Regisseur und Bühnenbildner. Die schillernde Persönlichkeit des „Bohemien aus Köln“ hatte auch eine tragische Seite: Chargesheimer nahm sich in der Silvesternacht 1971 das Leben. Sein fotografischer Nachlass wird seit 1978 im Museum Ludwig in Köln aufbewahrt.
Neben den Porträts, Alltagsszenen und Straßenbildern seiner Heimatstadt, war er mit seiner Linhof-Kamera auch im Ruhrgebiet unterwegs und machte dokumentarische Bestandsaufnahmen der in der Nachkriegszeit industriell-aufstrebenden Region, aber auch der dortigen schwierigen Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen. „Wer ein guter Fotograf sein will, muss mehr sehen als die anderen und anders sehen als die anderen“, lautete seine Devise. Als Meister der visuellen Abfolge von autonomen Bildern veröffentlichte er 12 Fotobücher zu Rhein und Ruhr, teilweise mit kritischen Texten des befreundeten Schriftstellers Heinrich Böll, mit dem er oft gemeinsam auf Fotoreportage war.
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Stand: 14.02.2023
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