Die ehemalige Synagoge

Der Viktoriaplatz mit neuer Synagoge (links) und Hauptpost (rechts)

Von einer ersten Synagoge als zentralem Versammlungshaus der Jüdischen Gemeinde am damaligen Notweg erfahren wir aus dem Jahre 1794. Wegen der enorm gestiegenen Zahl der Gemeindemitglieder (1808: 185, 1863: 493, 1900: 643) musste sie mehrfach umgebaut und erweitert werden. Am 9. Juni 1901 fasste der Vorstand der Synagogengemeinde den Beschluss, "ein der Größe der Gemeinde entsprechendes, würdiges Gotteshaus zu errichten", das nach reiflichen Überlegungen auf einem Grundstück am Viktoriaplatz errichtet werden sollte. Der Entwurf des renommierten Düsseldorfer Architekten Prof. Joseph Kleesattel für ein Neo-Romanisches Gebäude bekam den Zuschlag, Franz Hagen übernahm die Bauleitung.

Am 21. September 1905 fand die Feier der Grundsteinlegung im "bereits erheblich vorgeschrittenen" Rohbau statt. Der neue junge Rabbiner der Gemeinde, Otto Kaiser, hielt die von allen Seiten gelobte Festrede, in der er den "nach Zeiten finsteren Hasses auch in unserer Vaterstadt Mülheim" edlen "Geist religiöser Duldung" hervorhob: "... Auf drei Anhöhen unserer Stadt erheben sich die Gotteshäuser der drei Konfessionen. Es ist, als ob sie einander zuwinken, als ob sie einander brüderlich die Hand reichen wollten, auf daß nie wieder die Flammen des Hasses emporzüngeln, damit das Wenige, das uns trennt, fortan übersehen bleibe und damit die zahlreichen Fäden, die uns verknüpfen, zu einem starken, ewig dauernden Bunde des Friedens vereint werden... "

Einweckglas mit Tageszeitung und Grundsteinlegungsprotokoll, das bei der Grundsteinlegung der Synagoge am 21. September 1905 eingemauert worden warDer hebräische Teil des Grundsteinlegungsprotokolls der Synagoge (heute im Stadtarchiv aufbewahrt)Das dazugehörige Urkunden-Protokoll, heute im Mülheimer Stadtarchiv zu finden, informiert auf Hebräisch und Deutsch kurz gefasst über die Geschichte des Neubaus und enthält die Unterschriften aller Repräsentanten und Vorstandsmitglieder. Es wurde mit den Tageszeitungen in einer Glas-Urne steckend im linken Innenpfeiler angebracht, der eingraviert die jüdische Jahreszahl 5665 trug. Glasbehälter und Inhalt haben die spätere Zerstörung der Synagoge völlig unbeschadet überstanden. Sie müssen wahrscheinlich vor dem Brand gerettet worden sein.

Am 2. August 1907 nahm die Gemeinde das etwa 35 Meter lange und 20 Meter breite Gebäude mit einem feierlichen Gottesdienst in Besitz. Es umfasste die für den Gottesdienst bestimmte Kuppelhalle mit 550 Sitzplätzen, eine ebenerdige Wandelhalle mit Garderobenraum, ein Schul- und Sitzungszimmer über dem östlichen großen Eingang, im Keller das rituelle Bad (Mikwe) und die Dampfheizungsanlage. Drei Emporen in der Halle waren für die Frauen bestimmt. Auf dem leicht erhöhten Platz befand sich das Zentrum des Gotteshauses mit dem Schrank für die Torarollen, flankiert von zwei Tafeln mit dem "Zehnwort" (Dekalog) und den siebenarmigen Leuchtern (Menora), und dem Vorlesepult in der Mitte.

Das Glücksschwein über dem Eingangsportal der Sparkasse, direkt neben dem Eingang der Synagoge. Nach heftigen Debatten im Rat der Stadt im Herbst 1908 wurde es auf Drängen der jüdischen Gemeinde wieder entfernt.Gutnachbarlich verband zwei Jahre später ein gemeinsamer Dachreiter die neue Städtische Sparkasse mit dem fertigen Gotteshaus. Als "Stein des Anstoßes" empfanden allerdings die Synagogenbesucher ein steinernes Glücksschwein mit Putten direkt über dem Eingangsportal der Sparkasse. Nach langen Debatten im Stadtrat wurde die Gruppe wieder entfernt.

Nur 31 Jahre lang füllte jüdisches Leben das neue Haus: Gottesdienste am Sabbat sowie an den hohen Feiertagen, Kulturveranstaltungen und der allgemeine Religionsunterricht fanden dort statt.

Für andere Veranstaltungen stand seit dem Ersten Weltkrieg auf der Löhstraße ein jüdisches Gemeindehaus mit kleinerem Saal, koscherer Küche, Speiseräumen und mehreren Gesellschaftsräumen zur Verfügung. Vor allem Jugendliche trafen sich dort zum Freizeitvergnügen.

Mitte 1938 konnte der um mehr als die Hälfte zurückgegangene jüdische Teil der Mülheimer Bevölkerung die Belastungen durch Steuern und Unterhaltungskosten für beide Gebäude nicht mehr tragen. Das Synagogengrundstück samt Gebäude wurde der benachbarten Sparkasse zum Verkauf angeboten. Im September kam der Kauf nach Zustimmung aller Gremien zustande. Die Fläche gehörte der Stadt, der Bau sollte nach wenigen Monaten abgetragen werden.

Blick in die Kuppel der ausgebrannten SynagogeIn der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der sogenannten Reichspogromnacht, ließ der damalige städtische Feuerwehrmajor "auf Befehl von oben" das Gebäude in Brand setzen. Die Feuerwehr selbst hatte nur die Nachbarschaft vor Funkenflug zu schützen. Die Ruine wurde Anfang 1939 vollständig abgerissen. Jüdisches Leben vollzog sich - so weit es überhaupt noch möglich war - bis zur Bombenzerstörung im Juni 1943 im Gemeindehaus. Mit der Deportation der letzten Gemeindemitglieder gab es in Mülheim offiziell keine Juden mehr. Dass Familienangehörige und Freunde einige wenige verbergen konnten, durfte bis Kriegsende nicht bekannt werden.

Die wenigen Rückkehrer fanden sich unter Leitung von Salomon Lifsches wieder zu einer Jüdischen Gemeinde zusammen. Im Jahre 1960 konnte auf der Kampstraße eine kleine Synagoge eingeweiht werden, die sich erst im letzten Jahrzehnt aufgrund erheblicher Zuwanderung als zu klein erwies. Ein neues, großes Gemeindezentrum mit Synagoge wurde 1999 in Duisburg eröffnet.

 

Ein Modell des Ensembles von Sparkasse und Synagoge am Viktoriaplatz Der Viktoriaplatz mit Synagoge und Neubau der Städtischen Sparkasse (1909) Ansicht des Viktoriaplatzes mit Sparkasse, Synagoge und Hauptpost (um 1915)
Die neue Synagoge am Viktoriaplatz kurz vor der Fertigstellung (1907). An der Stelle des späteren Sparkassengebäudes ist zu diesem Zeitpunkt noch eine Baulücke zu sehen. Der prächtig ausgestaltete Innenraum der neugebauten Synagoge (1907) Der Mülheimer Rabbiner Dr. Leopold Neuhaus (vorne rechts, mit Brille) im Kreis von Mitgliedern der Synagogengemeinde
 Demonstration der SA vor der Synagoge (um 1934)  Die in der Reichspogromnacht ausgebrannte Synagoge (nach 1938)  Eine Baracke auf dem Grundstück der ehemaligen Synagoge (nach 1945)
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Stand: 20.02.2017

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