Rede zur Kranzniederlegung 9. November 2022

Rede zur Kranzniederlegung 9. November 2022

Rede von Oberbürgermeister Marc Buchholz

zum 9. November / Gedenken an die Pogromnacht mit Kranzniederlegung 

am Mittwoch, 09.11.22, 11.00 Uhr,

Synagogenplatz

***

Begrüßung:

Ehrenbürger Jacques Marx mit Ehefrau,

Dimitrij Yegudin (Vors. Jüd. Gemeinde)

Rabbiner David Geballe

Alexander Drehmann (Geschäftsführer Jüd. Gemeinde)

Stadtdechant Michael Janßen

Superintendent Gerhard Hillebrand

Lisanne Höltgen (Lehrerin) und SchülerInnen der Realschule Mellinghofer Straße,

Vertreter*innen aus Politik und Bürgerschaft

Damen und Herren

175 Stolpersteine für 173 Opfer des NS-Regime gibt es derzeit in unserer Stadt. An 93 Verlegungsorten mahnen uns die Schicksale der von dort vertriebenen oder deportierten jüdischen Mitbürger*innen, die Gräueltaten der Nationalsozialisten und auch das Versagen der Mülheimer Zivilgesellschaft nicht zu vergessen oder zu verdrängen.

Liebe Anwesende,

diesem Anspruch wollen wir gerecht werden. Ich danke Ihnen deshalb sehr, dass Sie unserer Einladung zum offiziellen Gedenken an die bis heute unfassbaren Geschehnisse der Reichspogromnacht am 9. November 1938 gefolgt sind.

Denn was vor 84 Jahren in Deutschland, und leider auch in unserer Stadt geschah, dieser Akt von Barbarei macht uns noch immer fassungslos und tief betroffen.

Wir gedenken hier an diesem besonderen Ort der jüdischen Opfer des Nazi-Terrors, der zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten ermordeten sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens. Hier, wo vor dem Krieg eine prächtige Synagoge stand, bekräftigen wir unsere Verantwortung dafür, dass so etwas Unfassbares in unserer Stadt nie wieder passiert.

Das jüdische Leben gehört seit vielen hundert Jahren zu Mülheim. Bereits 1794 wird die erste Synagoge als zentrales Versammlungshaus der Jüdischen Gemeinde erwähnt.

Die Zahl der Gemeindemitglieder stieg stetig an. Und so fasste der Vorstand der Synagogengemeinde 1901 den Beschluss, „ein der Größe der Gemeinde entsprechendes, würdiges Gotteshaus zu errichten“.

Nach reiflichen Überlegungen wurde ein Grundstück am Viktoriaplatz dafür ausgewählt.

2009 haben wir diesen zentralen Platz in unserer Innenstadt mit ausdrücklicher Zustimmung der Jüdischen Gemeinde in „Synagogenplatz“ umbenannt.

Lassen Sie uns daran erinnern, warum wir dies damals veranlassten - und warum wir uns heute hier im Herzen der Stadt zum Gedenken treffen. Genau hier müssen wir uns dem mit der Reichspogromnacht für immer verbundenen abscheulichen Ereignis der Mülheimer Geschichte und unserer Vergangenheit stellen: der Zerstörung der alten Mülheimer Synagoge am 9. November 1938.

Erst 1907 war die Synagoge fertig gestellt worden. Unter reger Beteiligung auch der Mülheimer Politik, der Industrie und der Schulen feierte die Jüdische Gemeinde die Einweihung des imposanten Gotteshauses.

Der damalige Oberbürgermeister Dr. Lembke betonte, „... daß wir, wenn wir im Namen unserer Stadt sprechen, hier, unsere jüdische Gemeinde als die unserige, als zu uns gehörig bezeichnen können“. 

Dieses Versprechen hielt nur 31 Jahre...

Mitte 1938 konnte der unter den Repressionen der Nationalsozialisten um mehr als die Hälfte zurückgegangene jüdische Teil der Mülheimer Bevölkerung die finanziellen Belastungen der Synagoge nicht mehr tragen.

Die Gemeinde verkaufte das Gebäude an die Sparkasse…

Und musste dann mit ansehen, wie in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 der damalige städtische Feuerwehrmajor „auf Befehl von oben“ die Synagoge in Brand setzen ließ.

Die wertvolle Einrichtung war in kürzester Zeit zerstört. Zurück blieb eine Ruine, die 1939 vollständig abgerissen wurde. Mit der dann folgenden Deportation der letzten Gemeindemitglieder während der NS-Terrorherrschaft gab es in Mülheim – offiziell – kein jüdisches Leben mehr.

Zum 84. Mal jährt sich heute also die Nacht, in der in ganz Deutschland die Synagogen brannten... In der Schaufenster jüdischer Geschäfte zertrümmert wurden... In der Wohnungen jüdischer BürgerInnen zerstört und die Bewohner*innen gedemütigt und misshandelt wurden.

Schlimmer noch: Im ganzen Land wurden hunderte Menschen in jener Nacht ermordet oder in den Tod getrieben. Zehntausende in den folgenden Tagen in Konzentrationslagern inhaftiert, wo viele ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben.

Fast alle Synagogen und viele jüdische Friedhöfe in Deutschland und Österreich wurden zerstört.

Und diese vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Leben, Eigentum und Einrichtungen der jüdischen Bevölkerung machte auch vor Mülheim an der Ruhr nicht Halt.

Ja, auch unsere Stadt war ein Ort der Ausgrenzung, Demütigung, Misshandlung, Verfolgung und Ermordung jüdischer BürgerInnen. Und wir müssen bekennen, dass Demokratie, Zivilcourage, Humanität und Mitmenschlichkeit in unserer Stadt nicht stark genug waren, um das zu verhindern.

Das darf nie wieder geschehen! Deshalb ist die Erinnerung an die Verbrechen, die im Namen des deutschen Volkes unter der nationalsozialistischen Herrschaft verübt wurden, eine zentrale Aufgabe, die uns unsere Geschichte auferlegt hat.

Dass heute so viele Schüler*innen an der Veranstaltung teilnehmen, erfüllt mich deshalb mit Freude und Zuversicht. Mein besonderer Dank gilt auch den beiden Kirchen, die ihren Teil dazu beitragen, die Erinnerungskultur in unserer Stadt zu stärken.

Für mich ist es unverzichtbar, dass wir anlässlich des Gedenkens an die Gräuel der Vergangenheit auch einen Blick auf die politischen Herausforderungen der Gegenwart werfen. Wenn in Deutschland in 2022 jeden Tag (!) fünf judenfeindliche Straftaten gezählt werden, darf nicht nur der Präsident des Zentralrates der Juden tief besorgt sein.

Diese Zahlen müssen uns aufrütteln. Wir müssen uns entschieden gegen jede Art von Antisemitismus stellen. Wir alle sind gefordert, auch verbale Entgleisungen eindeutig zu entlarven und vehement zu ächten.

Keiner darf wegsehen und weghören. Das sind wir den Opfern der nationalistischen Terrorherrschaft schuldig.

Wir dürfen auch nicht wegsehen und weghören, wenn Wladimir Putin die „Entnazifizierung der Ukraine“ als einen Kriegsgrund für seinen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine benennt. Diese perfide Geschichtsklitterung missachtet und missbraucht die Lebensgeschichten, das Leiden und den Tod der 6 Millionen jüdischen Opfer, derer wir heute gedenken!

Wir verneigen uns nun vor den Toten und gedenken der Jüdischen Mitbürger*innen, die durch das Terrorregime der Nazis ermordet wurden.

Kontakt


Stand: 12.12.2022

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