ZEITZEICHEN 13. Juni 1915: Bezug des neuen Rathauses
Das erste Mülheimer Rathaus wurde in der Amtszeit des Bürgermeisters Christian Weuste (1822-1846) errichtet. In dieser Zeit der frühen Industrialisierung gab es große Veränderungen. Kohlenschifffahrt und Industrie befanden sich im Aufschwung; die Bevölkerung wuchs. Bürgermeister Weuste führte zahlreiche Baumaßnahmen durch, die dazu beitrugen, dass das bis dahin eher dörflich wirkende Mülheim einen zunehmend städtischen Charakter bekam. Nachdem er seine Amtsgeschäfte 20 Jahre lang von seinem Wohnhaus in der Delle aus führen musste, wurde erst 1841/42 ein Rathaus gebaut. Es stand an dem damals neu angelegten Rathausmarkt in der Mitte des heutigen Ratssaalflügels.
60 Jahre später, am Anfang des 20. Jahrhunderts, erlebte Mülheim wieder eine Zeit der Veränderung. In der Zwischenzeit waren Wirtschaft und Bevölkerung gewaltig gewachsen. Der Aufbau des Sozialstaates und der Ausbau der Infrastruktur hatten die Aufgaben der Städte erheblich vermehrt. Am 1. Januar 1904 wurde die Stadt Mülheim kreisfrei und gemeindete einige Gebiete wieder ein, die sie bei der Teilung in Stadt und Landbürgermeisterei im Jahr 1847 verloren hatte. Es begann die Ära des Oberbürgermeisters Dr. Paul Lembke, in der Mülheim nicht nur zahlenmäßig zur Großstadt wurde (siehe Zeitzeichen vom 8. September 1903 und 1. Januar 1904).
Das alte Rathaus von 1842 reichte längst nicht mehr aus. Inzwischen waren mehrere hundert städtische Mitarbeiter auf 8 Verwaltungsgebäude verteilt. Daher begann man schon bald nach der Amtsübernahme Lembkes mit der Planung für ein neues Rathaus. Nach einem Wettbewerb im Jahr 1911 entschied die Stadtverordnetenversammlung überraschend, den drittplatzierten Entwurf "Zwei Plätze" der Architekten Arthur Pfeifer und Hans Großmann in veränderter Form zu verwirklichen. Neben einiger Kritik – der Turm galt zum Beispiel als misslungen und wurde ganz geändert – sprach einiges für diesen Entwurf. Zum einen überzeugte die städtebauliche Einbindung, zum anderen wurde der Ratssitzungssaal besonders gelobt (siehe Zeitzeichen vom 10. Februar 1916). Die Bereiche für die Verwaltung, die Lichtverhältnisse und Treppen wurden ebenfalls positiv beurteilt, lediglich beim Raumangebot sollte etwas nachgebessert werden. Die halbkreisförmige Kassenhalle wurde als beste Kasse unter allen Entwürfen geradezu überschwänglich gelobt.
Nach einigen Verzögerungen beim Bau konnte die Verwaltung im Juni 1915 ihre Büroräume beziehen. Die Ausstattung der "normalen" Büros sah einfache, aber solide gestaltete Räume mit Linoleumböden, Ölfarbenanstrichen der Wände und Deckenpendelleuchten vor. Im Gegensatz zu der funktionalen Schlichtheit der Büroräume standen die Repräsentationsräume im Rathausmarktflügel, die wegen ihrer künstlerischen Ausgestaltung erst gegen Ende des Jahres 1915 beziehbar waren.
Autor: J. Fricke
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Stand: 17.12.2019
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