Zwangsarbeit in Mülheim an der Ruhr
Je länger der 2. Weltkrieg dauerte, umso stärker machte sich in Deutschland ein akuter Mangel an Arbeitskräften bemerkbar. Die Wehrmacht zog immer mehr Männer zum Militärdienst ein, was sich drastisch auf die Leistungsfähigkeit der deutschen Kriegswirtschaft auswirkte. Zur Aufrechterhaltung der Produktion wurden verstärkt Fremdarbeiter aus den besetzten west- und osteuropäischen Ländern herangezogen, zunächst auf freiwilliger Basis durch Anwerbung, dann jedoch unter Zwang. Insgesamt waren mehr als 10 Millionen Fremdarbeiter aus 18 Ländern in Deutschland im Einsatz, darunter der größte Teil Zivilarbeiter, nicht etwa Kriegsgefangene. Auch in Mülheim an der Ruhr beschäftigten die meisten Unternehmen ebenso wie die Stadtverwaltung, Reichsbahn und Krankenhäuser in großem Umfang Zwangsarbeiter, um ihre Aufgaben weiterhin erfüllen zu können. Selbst kleine Handwerksbetriebe und Privathaushalte ließen sich vom Arbeitsamt, das für die Verteilung zuständig war, Dienstkräfte zuweisen.
Anzahl der Zwangsarbeiter
Ihre genaue Zahl lässt sich im Nachhinein nur annähernd bestimmen. Über die Kriegsjahre verteilt wurden insgesamt knapp 25 000 Ausländer in Mülheim registriert, der größte Teil davon vermutlich Zwangsarbeiter. Mit 9934 registrierten Personen machten die Sowjetrussen (hauptsächlich Ukrainer) den größten Anteil aus, gefolgt von Franzosen (4805), Niederländern (4105), Polen (1844), Italienern (1818) und Belgiern (1366). Verstorben sind in Mülheim in den Kriegsjahren 837 Ausländer. Neben Epidemien, die häufig durch die schlechten Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter ausgelöst oder begünstigt wurden, kosteten besonders die zahlreichen Bombenangriffe vielen Zwangsarbeitern das Leben. Ihnen war es häufig nicht erlaubt, geeignete Bunker oder Schutzräume aufzusuchen, so dass sie sich nur notdürftig schützen konnten. Immer wieder kam es zudem vor, dass Zwangsarbeiter z.B. bei Fluchtversuchen erschossen wurden.
Zwangsarbeiterlager
Die meisten Zwangsarbeiter lebten in Lagern, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt waren. Zu den größeren gehörten das Lager Luisenhof an der Bergstraße, wo die ausländischen Arbeiter der Friedrich-Wilhelms-Hütte untergebracht waren ("Hüttenlager"), ferner das Lager Zehntweg der Deutschen Röhrenwerke, das Lager Heerstraße des Reichsbahnausbesserungswerks in Speldorf sowie das Lager Pionierkaserne der Firma Krupp. Zwangsarbeiter der Zechen Wiesche, Humboldt und Rosenblumendelle wohnten zum Teil in Mülheimer Lagern, zum Teil in Lagern auf Essener Stadtgebiet. Die ortsansässigen Handwerksbetriebe hatten - ebenso wie die Stadtverwaltung - ihre Arbeitskräfte überwiegend im oben erwähnten Lager Luisenhof. Mittelständische Betriebe verfügten dagegen meist über eigene kleinere Lager, wie zum Beispiel das "Otterlager" der Schuhfabrik Otterbeck oder das "Wiesenlager" des Wasserwerks. Kaum ein Betrieb war ohne Fremdarbeiter funktionsfähig, so dass ihr Einsatz flächendeckend war. Insgesamt sind für Mülheim an der Ruhr über 50 Lager namentlich bekannt.
Entschädigung
Nachdem der Deutsche Bundestag am 30. Mai 2001 Rechtsicherheit für deutsche Unternehmen festgestellt hatte, war anschließend der Weg frei für die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter aus den Mitteln der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".
Literatur zum Thema
Die Aufzeichnungen der Eleonore Helbach, einer Mülheimerin russischer Herkunft, vermitteln einen Eindruck von den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter in Mülheim an der Ruhr. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse wurde Eleonore Helbach von den städtischen Dienststellen als Dolmetscherin in den Fremdarbeiterlagern des Stadtgebiets eingesetzt und hat dieses Kapitel der deutschen Geschichte somit hautnah miterlebt. Nachzulesen ist dies in ihrem autobiografischen Bericht "Das Zwangsarbeitersystem im Dritten Reich: Als Dolmetscherin in Mülheimer Lagern", den der Mülheimer Geschichtsverein 2003 herausgegeben hat.
Kontakt
Stand: 18.12.2019
[schließen]
Bookmarken bei