35.
Mülheimer Theatertage NRW
Die Stücke eines Jahres im Wettbewerb
um den Mülheimer Dramatikerpreis

Laudatio auf Ulrich Hub


EIN SOGENANNTES KINDERSTÜCK

Lieber Uli,
sehr geehrte Damen und Herren,
Ulrich Hub und seine Stücke begleiten mich fast so lang, wie ich selbst für das Theater schreibe. Ulrich Hub und ich sind Freunde.

Es gibt keinen Theaterautor, mit dem ich einen vergleichbar intensiven, leidenschaftlichen und neugierigen und konstruktiven Dialog über das Theater führen kann wie mit Hub.
Als wir uns kennenlernten, war von ihm bereits das „Fräulein Braun“ in Hamburg am Thalia Theater rausgekommen, ich wartete noch auf die erste Uraufführung eines Stückes von mir – das war dann die „Ewige Maria“ hier in der Nähe, in Oberhausen.

Als Autoren waren wir beide noch am Anfang. Heute werden wir beide in Mülheim als Dramatiker ausgezeichnet.
Es freut mich ganz besonders, dass wir beide hier heute zusammen stehen, und es freut mich noch mehr, dass ich ein paar Sätze über Ulrich Hub und das Stück sagen darf, das als erstes Stück überhaupt in Mülheim als bestes sogenanntes „Kinderstück“ ausgezeichnet wird, „Nathans Kinder“.

Hub kommt ursprünglich vom Schauspiel, er war am Theater in Gießen und Darmstadt als Schauspieler engagiert, und in äußerst selten und besonderen Momenten er tritt manchmal heute noch auf, dann erzählt er zum Beispiel vor Publikum die komplette Ilias nach. Seit Jahren inszeniert Hub parallel zum Schreiben als Regisseur Theater und Oper – nebenbei ist er excellenter Pianist - und natürlich merkt man diese Nähe zum Theater und zur Musik seinen Stücken an. Hub kennt das Theater von innen. Er beherrscht sein Handwerk.
Er kann Stücke bauen, er verdichtet Sprache, wenn er schreibt, komponiert er. Er ist kein Blender, er hat keine Masche, er läuft keinem Trend hinterher.

Hubs Stücke sind auf dem ersten Blick oft scheinbar witzig, oder pointiert, seine Dialoge sind manchmal schnell, leicht, oft zunächst scheinbar amüsant, aber man sollte sich von dem ersten Eindruck nicht täuschen lassen: Beim zweiten, genaueren Hinsehen sind Hubs Stücke oft mehr als desperat, oder sie sind gleichzeitig beides, sie sind komisch und verzweifelt.

Hubs Stücke sind düster und hellsichtig, und diese Ambivalenz beschreibt bereits Hubs schriftstellerische Klasse. Diese Ambivalenz von scheinbarer Leichtigkeit und Tiefe, von Komik und Tragik zieht sich durch sein gesamtes Schreiben. Das gilt genauso für die sogenannten „Erwachsenenstücke“ von Hub wie „Die Beleidigten“ oder „Troianer“ wie auch für Hubs sogenannte „Kinderstücke“.

Hubs großartiges, wunderbar klaustrophobisches Stück „An der Arche um Acht“ ist eines dieser düsterkomischen Stücke – immerhin vernichtet außerhalb der Arche gerade Gott seine Welt -, und Komik und Tragik kommen auch jetzt bei “Nathans Kinder“ wieder zusammen, wobei einem allerdings bei diesem Stück schnell das Lachen vergeht.

Der erste Glückwunsch zu dieser Auszeichnung in Mülheim geht natürlich an Hub, aber der zweite Glückwunsch muß an das Festival gehen, denn mit der Entscheidung für dieses Stück hat die Jury einen Maßstab für die kommenden Jahre bei diesem Wettbewerb um den KinderStückePreis gesetzt.

„Der Frieden wird nicht lange halten“, sagt Nathan am Ende von Hubs Stück. Und er sagt vorher im Stück: „Die Menschen sind überall unglücklich.“ Ulrich Hub ist ein Realist. Oder ist er ein Pessimist? Nein, ein Pessimist ist er vermutlich nicht. Sonst würde bei ihm die Sintflut - wie in „An der Arche um Acht“ - nicht mit dem Kuss zwischen einer Taube und einem Pinguin enden.
Aber: Hub ist ein Skeptiker. Hub betrachtet in jedem seiner Stücke seine Figuren und die Spezies Homo sapiens im Allgemeinen mit einem gesunden, grundsätzlichen Misstrauen. „Alle lügen“ – das ist zum Beispiel eines der großen Themen in den „Beleidigten“, dem Stück, für das er 1997 den Heidelberger Stückemarkt gewann und das er dann selbst am Gorki Theater uraufführte.
Alle lügen - dieses aufgeklärte Misstrauen, diesen ihm eigenen, hellsichtigen Skeptizismus hat Hub nie aufgegeben. Nur überträgt Hub in seinen Dramen bisweilen diese Weltsicht vom Menschen auf andere Bereiche: auf Pinguine wie in der „Arche“ oder auf Maschinen oder künstliche Schöpfungen wie in „Über den Wassern“ - oder auf Gott und auf den Glauben wie in seinem „Nathan“.
Hub misstraut den Menschen und er misstraut Gott – oder genauer: er stellt in Frage, was die Menschen mit dem Begriff Gott anfangen.

 „Nathans Kinder“ ist ein wieder düsteres Stück. Es ist sicher auch ein komisches Stück, wieder ein verzweifelt komisches Stück – schließlich will hier fast jeder den anderen umbringen: der Bischof will den Sultan umbringen lassen und der Sultan will den Bischof umbringen lassen und beide wollen den Juden loswerden, am liebsten würden sie ihn verbrennen – Grotesk, könnte man meinen, aber nein, so grotesk und lustig ist das alles nicht.
Die Szene ist bei Hub wie bei Lessings „Nathan der Weise“ das Jerusalem der Kreuzzüge, das klingt weit weg und historisch, aber ist das so weit von uns entfernt? Nein, irgendwie kommt einem dieser Wahnsinn bekannt vor. Am klügsten sind in diesem Wahnsinn noch die Kinder, Recha und Kurt, könnte man noch hoffen, so wäre es im Kino, aber ob das wirklich stimmt – Hub misstraut allen. Er legt Fährten. Nichts ist sicher. Jede seiner Figuren kann sich jeder Zeit ins Unrecht setzen. Es gibt keinen Helden.
Gotthold Ephraim Lessings Drama „Nathan der Weise“ ist ohne Zweifel eines der wichtigsten und bedeutendsten deutschsprachigen Theaterstücke überhaupt. Diesem Stoff heute neu zu begegnen, mit ihm in einen längst überfälligen Dialog zu treten, ist eine ebenso riskante wie brillante Idee.

Hubs Antwort auf Lessing ist mit Sicherheit kein Kinder- oder Jugendstück im eindeutigen Sinne. Wie könnte es das bei dem Thema auch sein – Hubs Stück konstruiert keine Versöhnung. Hier fehlt der Lerneffekt, könnte man aufschreien, aber genau das ist der Punkt. Hubs Stück beschreibt eine Katastrophe. Es beschreibt die Katastrophe, dass heute noch, achthundert Jahre nach den Kreuzzügen und über zwei Jahrhunderte nach Lessing die Frage nach der richtigen oder falschen Religion noch immer die Gesellschaft und die Gemeinschaft der Völker spaltet und zu Ausgrenzung und Gewalt, Mord, Terror und Krieg führt. Beispiele dafür brauche ich nicht zu nennen, man muß dafür nur die Zeitung aufschlagen.
Man könnte sagen, dies ist eher ein Erwachsenenthema aus der Erwachsenenrealität, aber jedes Kind und jeder Jugendliche ist heute fast überall auf dieser Welt mit dieser Realität konfrontiert – und wer weiß, was da noch kommt.

„Der Frieden wird nicht lange halten.“ Sagt Nathan bei Hub. Er hat Recht: der Frieden hält nicht. Er hat nie gehalten, und er wird so schnell nicht halten. Lessings Geschichte braucht vorläufig einen anderen Schluß.
Und deshalb ist es wichtig, dass uns Hub Lessings Geschichte von „Nathan dem Weisen“, der das Judentum, den Islam und das Christentum versöhnt, neu erzählt. Gewalt und Terror werden überall auf der Welt immer noch durch den Glauben legitimiert, im Besitz der einzigen, göttlichen Wahrheit zu sein. Der Glaube an Gott führt zum Scheitern friedlicher Koexistenz.
„Frieden wird es erst geben, wenn kein Mensch an irgendeinen Gott mehr glaubt.“ lässt Hub die Figur des Tempelritters Kurt gegen Ende seines Stücks sagen. Das ist ein gewaltiger Satz. Das ist ein Satz, der durchaus Sinn macht, der weh tut, und der vielleicht auch ganz falsch ist, denn wer weiß, ob der junge Tempelritter nicht auch ohne Glauben gleich jemandem an die Gurgel gehen wird.
Hub misstraut seinen Figuren, und Hub teilt, wie er mir vorgestern am Telephon noch sagte, gar nicht diesen Satz. Aber es bleibt ein großer Satz. Und deshalb zitiere ich ihn gleich noch einmal: „Frieden wird es erst geben, wenn kein Mensch an irgendeinen Gott mehr glaubt.“

Die Welt, in der Hubs Figuren leben, ist aus den Fugen. Unsere ist es auch. Hub erlaubt niemanden, sich irgendwelchen Hoffnungen hinzugeben. Er gibt sich keine Mühe, dieses Desaster noch schönzureden, er bietet kein versöhnliches Ende.
Sein Stück endet, wo es im allergünstigsten Fall enden kann: in einer „Hängepartie“, mit einer Atempause: bei Hub lassen sich Christen und Muslime und Juden wenigstens für die Dauer eines Frühstücks in Frieden, oder zumindest drohen sie für die kurze Dauer eines Frühstücks nicht damit, sich gegenseitig umzubringen. Sie phantasieren kurz, wie es wäre, wenn alle miteinander verwandt wären... aber Lessings traumhafter Schluß der Verbrüderung durch ungeahnte Verwandtschaftsverhältnisse ist bei Hub nur noch ein eher abwegiges Gedankenspiel... Nathan bringt es auf den Punkt. Nirgendwo auf der Welt sind die Menschen glücklich. Dieser Frieden wird nicht lange dauern.

Lieber Uli, herzlichen Glückwunsch zu diesem großartigen Stück.


Roland Schimmelpfennig, 27. Juni 2010


Stand: 01.07.2010

[schließen]

Fehler melden

Sie haben einen Fehler auf dieser Internetseite gefunden? Bitte teilen Sie ihn uns mit. Ein Redakteur wird sich umgehend darum kümmern.

Haben Sie ein anderes Anliegen, um das wir uns kümmern sollen, dann wenden Sie sich bitte an die Bürgeragentur.

Ihre Nachricht

 

Drucken | RSS-Feed | Fehler melden

Transparenter Pixel