Archiv-Beitrag vom 19.11.2019Neujahrsempfang der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen

Archiv-Beitrag vom 19.11.2019Neujahrsempfang der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen

Rede von Bürgermeisterin Margarete Wietelmann anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes vom 7. Oktober 2019.

Es gilt das gesprochene Wort.

Bürgermeisterin Margarete Wietelmann Foto: Walter Schernstein - Walter Schernstein

Sehr geehrter Herr Yegudin,
sehr geehrter Rabbiner Geballe,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

im Namen der Stadt Mülheim an der Ruhr überbringe ich herzliche Grüße zum Neujahrsempfang der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim an der Ruhr-Oberhausen.

Gerne tue ich dies – in Vertretung von Oberbürgermeister Ulrich Scholten – auch stellvertretend für die Städte Duisburg und Oberhausen.

Das Neujahrsfest, das die Jüdische Gemeinde in diesen Tagen feierte, ist ein Anlass inne zu halten und zurückzuschauen. Was hat das vergangene Jahr gebracht? Was war gut und richtig? Was müssen wir anders machen und wogegen müssen wir uns wenden?

Gut und richtig waren und sind gewiss die Beziehungen unserer Städte zur Jüdischen Gemeinde, und ich kann mit Zuversicht auf ihren weiteren Ausbau schauen. 

Angesichts dessen was in Deutschland vor wenigen Jahrzehnten geschehen ist, ist das nicht selbstverständlich und wir haben allen Grund zu Freude und Dankbarkeit. 

Dennoch steht dieses gute und vertrauensvolle Verhältnis nicht für alle in unserer Gesellschaft. Rassismus und  Antisemitismus irrlichtern nicht nur durch unser Land, sondern müssen als globalisiertes Phänomen wahrgenommen werden, das uns zum Handeln zwingt.

Wenn wir Antisemitismus sinnvoll bekämpfen wollen, dürfen wir dies nicht auf ritualisierte Bekenntnisse zu jüdischem Leben und zum Existenzrecht Israels reduzieren.

Wir müssen klar Stellung beziehen gegen jegliche Form von Menschenverachtung und Ausgrenzung. Wir dürfen dies politischen Gruppen und Parteien, die Intoleranz zur Basis ihrer Forderungen, ja zu ihrer politischen Maxime erklärt haben, nicht durchgehen lassen. Wer sind die, die glauben, vorschreiben zu dürfen, wer dazu gehört und wer nicht?

Wir müssen mit großer Bestimmtheit Stellung beziehen für eine demokratische und pluralistische Gemeinschaft. Zwingend ist dabei, gerade jungen Menschen die Bildung zu vermitteln, die es ihnen möglich macht, zu erkennen, was passiert und welche Haltung, welches Tun herausgefordert sind. Wir müssen alles daransetzen, dass nicht noch mehr Menschen auf Rattenfänger hereinfallen, wie es kürzlich bei den Wahlen in ostdeutschen Bundesländern passiert ist.

Das sei aus Protest geschehen ist ein Erklärungsversuch. Doch Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind zu kostbar, um damit zu spielen.

Meine Damen und Herren,

bei der Vorbereitung auf dieses Grußwort musste ich mit Entsetzen feststellen, dass bereits wieder seit langer Zeit Apelle solcherart notwendig sind und dass Menschen jüdischen Glaubens sich heute in Deutschland nicht wirklich frei entfalten können.

Solange die Synagogen in Deutschland von Polizisten bewacht werden müssen, solange jüdische Gräber geschändet werden und solange Menschen sich fürchten, ihren jüdischen Glauben offen zu bekennen, solange können wir nicht von Normalität im Umgang miteinander sprechen.

Rechtes und antisemitisches Gedankengut scheint wieder salonfähig zu sein. Wenn auf unseren Schulhöfen „Du Jude“ als gängiges Schimpfwort gebraucht wird, dann dürfen wir das nicht hinnehmen!

Darum sind alle demokratischen Kräfte aufgerufen, gegen die Feinde unserer demokratisch-freiheitlichen Verfassung vorzugehen. Wir dürfen weder die kleinsten Ansätze antidemokratischen Verhaltens noch Antisemitismus in unserer Gesellschaft tolerieren. Dies gilt im Übrigen auch für antisemitische Übergriffe mit arabischem Hintergrund.

Es ist wichtig, uns unserer Geschichte und der daraus erwachsenen Verantwortung bewusst zu sein. Wir dürfen nicht vergessen!

In unseren Städten haben wir seit langem eine von breiten Gesellschaftsschichten getragene Erinnerungskultur. Auch wenn wir diese weiter ausbauen wollen und müssen, so erwachsen aus unserer bisherigen Arbeit und in den einzelnen Städten sehr hoffnungsvolle Zeichen.

Für Mülheim zählen für mich z. B. die vielen Stolpersteine dazu, die wir im Gedenken an die Menschen verlegt haben und weiter verlegen werden, die ihr Leben unter der Schreckensherrschaft der Nazis verloren. Viele davon waren jüdischen Glaubens. Im Stolperstein-Projekt engagieren sich Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit der MIT, der Mülheimer Initiative für Toleranz. Sie übernehmen Verantwortung, und daraus erwächst ein neues Verstehen.

Um jüdisches Leben und jüdische Traditionen auch wieder mitten in der Stadt sichtbar zu machen, feiern wir auf dem Mülheimer Synagogenplatz seit einigen Jahren mit der Jüdischen Gemeinde das Lichterfest.

Es ist wohltuend, bewusst zu machen, dass jüdische Bräuche, jüdische Kultur seit jeher Bestandteil unserer europäischen Gesellschaft sind.

Darum ist es mir ein großes Anliegen, Sie alle schon jetzt auf ein ganz besonderes Ereignis aufmerksam zu machen: In zwei Jahren - also 2021 – können wir auf 1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland blicken. „Allen Stadträten gestatten wir, die Juden in die Kurie zu berufen.“ Dies ordnete im Jahre 321 der römische Kaiser Konstantin der Große für Köln an. Mit diesem Edikt ist nachweislich die Gründung der ältesten jüdischen Gemeinde im Europa nördlich der Alpen erbracht.

Dazu Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Für uns Deutsche ist dieses Datum von besonderer Bedeutung und vergleichbar mit der Erinnerung der Evangelischen Kirche an das Reformationsjubiläum 2017.“

Um dieses Ereignis würdig zu feiern hat sich bereits ein Verein gegründet, dem namhafte Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen angehören.

Die breite Unterstützung ist gewiss, und ich bin zuversichtlich, die Vereinsarbeit wird reiche Früchte tragen. Abraham Lehrer, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, brachte das Anliegen des Vereins auf den Punkt: „Das Judentum, das Wissen um seine Religion und Kultur, muss bekannter werden – nicht nur als Opfer von Pogromen im Mittelalter und der Schoa.“

Das, meine Damen und Herren, ist für mich der Ausblick, zu dem das Jüdische Neujahrsfest herausfordert.

Mit dem traditionellen Gruß „Schana towa“ wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein gutes und friedvolles Jahr 5780!

Schalom und ein herzliches Glück auf!

Kontakt


Stand: 19.11.2019

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